Kinderschutzbund Lindenberg/Westallgäu macht auf die Kinderrechtskonvention aufmerksam.
Bereits vor 30 Jahren hatte sich Deutschland verpflichtet, die in der UN-Kinderrechtskonvention beschriebenen Kinderrechte zu achten, zu schützen und zu gewährleisten. Gemeint sind damit die Schutz-, Förder- und Beteiligungsrechte der Kinder, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben.
Trotz dieser Rechtsverbindlichkeit steht das Wohl der Kinder und die Rahmenbedingungen, die sie für eine gute Entwicklung dringend benötigen nicht im Fokus der Politik. Das Deutsche Institut für Menschenrechte stellt immer wieder fest, dass Kinderrechte in Deutschland nach wie vor nicht ernst genommen und bei wichtigen Entscheidungen leichtfertig übergangen werden. Sichtbar machen das u.a. die katastrophalen Zustände in der medizinischen Versorgung der Kinder, das mittlerweile überholte und ächzende Schul- und Bildungssystem, welches längst nicht alle Kinder „mitnimmt“, geschweige denn auf das Leben und die Zukunft vorbereitet. Auch die Umstände im frühkindlichen Bereich werden dem Auftrag in der Bildungs- und Betreuungslandschaft nicht gerecht. Die überaus wichtige Bindungstheorie gerade im sensiblen Bereich der unter 3-jährigen wird nach wie vor sträflich vernachlässigt und bei der Planung personell und inhaltlich nicht annähernd ausreichend berücksichtigt.
Im Rahmen meiner Tätigkeit als Familienbegleiterin bin ich gerade bei einer Krippeneingewöhnung unterstützend mit dabei und möchte konkret ein paar Fakten nennen:
Gesetzlich stehen jedem Krippenkind 3,3 m² zur Verfügung; macht bei der üblichen Gruppenstärke von 12 Kindern knapp 40 m². Dazu zählen übrigens auch Laufflächen wie z.B. der Flur. Nicht in die Raumvorgaben eingerechnet sind die Anwesenden Betreuer*innen, sowie das Mobiliar. Ich überlasse es Ihrer Fantasie, wieviel Platz zum Spielen, trösten und Rückzug bleibt. Zum Vergleich: ein Büroplatz muss mind. 8 m² haben…
Was sagt das über unsere (deutsche) Gesellschaft aus?
Angesichts der aktuellen Umstände klingt der Spruch „Kinder sind unsere Zukunft “ wie eine leere Phrase. Wenn Kinder unsere Zukunft sind, müssten wir nicht mit allen Mitteln und dem vorhandenen Wissen in eben diese vorausschauend und weise investieren?
Denn: „Wie die Welt von morgen aussehen wird, hängt im großen Maße von jenen ab, die jetzt lesen lernen“, sagte Astrid Lindgren.
In der Realität erleben wir, dass alles wichtiger und vorrangiger ist, als die Investition in die Entwicklung der Kinder. Diese befinden sich nach wie vor auf einem politischen und gesellschaftlichen Nebenschauplatz. Die Politik weigert sich, die Kinder zur „Chefsache“ zu machen und überlässt den Ländern und Kommunen das inhaltlich und finanziell marode System, das längst nicht mehr zukunftsfähig ist. Statt der dringend benötigten 12 Mrd. Euro für die Kindergrundsicherung, werden 2,4 Mrd. bewilligt. Es hat ein bisschen Basar-Charakter…Wir gehen mit unserer Zukunft sehr inflationär um.
Das oberste Ziel der Kinderrechte ist die vorrangige Berücksichtigung des Kindeswohls bei allen Entscheidungen, die das Kind betreffen. Genau das scheint dem einen oder anderen Erwachsenen Angst zu machen. Warum?
Manche Erwachsenen scheinen zu befürchten, mit den Kinderrechten ihre Macht „einzubüßen „. In ihrer Rede zur Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels „Niemals Gewalt“ schrieb Astrid Lindgren: „Ganz gewiss sollen Kinder Achtung vor ihren Eltern haben, aber ganz gewiss sollen auch Eltern Achtung vor ihren Kindern haben und niemals dürfen sie ihre natürliche Überlegenheit missbrauchen.“
Dennoch passiert es täglich und überall, dass wir Erwachsene unsere Macht missbrauchen (= Adultismus). Aus alten, übertragenen Haltungen heraus, aus Angst, dass uns Kinder auf der Nase herumtanzen, wenn wir nicht hart durchgreifen, aus Unwissenheit und weil wir es selbst nicht anders erfahren haben. Darüber hinaus sogar aus Liebe, weil wir unsere Kinder auf die „harte“ Welt vorbereiten möchten. Die Gründe für unseren Machtmissbrauch sind sehr vielfältig und dennoch nicht zu entschuldigen.
Dabei benötigen Kinder ganz dringend wohlwollende und reflektierte Erwachsenen, die ihnen einerseits viel Raum und Zeit geben, um sich zu entwickeln und andererseits mit sinnvollen und zuverlässigen Grenzen und Regeln einen sicheren Rahmen gestalten. Schon Astrid Lindgren wusste: „Freie und un-autoritäre Erziehung bedeutet nicht, dass man die Kinder sich selbst überlässt, dass sie tun und lassen dürfen, was sie wollen. Es bedeutet nicht, dass sie ohne Normen aufwachsen sollen, was sie selber übrigens gar nicht wünschen.“
Mit gelebten Kinderrechten würden wir unsere elterliche, gesellschaftliche und politische Verantwortung übernehmen und auf verschiedenen Ebenen dafür sorgen, dass unsere Kinder in Bedingungen aufwachsen können, die es ihnen ermöglichen, empathische, verantwortungsvolle, selbstbewusste und emotional gesunde Menschen zu werden, die für sich und andere gut sorgen können. Die Ideen haben, wie sie Probleme lösen können und resilient sind.
Die Frieden und das Miteinander statt Konkurrenzkampf und Gewalt wählen. Deshalb benötigen wir die Kinderrechte unbedingt im Grundgesetz!
Weise schrieb Astrid Lindgren dazu: „Ein Kind, das von seinen Eltern liebevoll behandelt wird und das seine Eltern liebt, gewinnt dadurch ein liebevolles Verhältnis zu seiner Umwelt und bewahrt diese Grundeinstellung sein Leben lang. Und das ist auch dann gut, wenn das Kind später nicht zu denen gehört, die das Schicksal der Welt lenken. Sollte das Kind aber wider Erwarten eines Tages doch zu diesen Mächtigen gehören, dann ist es für uns alle ein Glück, wenn seine Grundhaltung durch Liebe geprägt worden ist und nicht durch Gewalt. Auch künftige Staatsmänner und Politiker werden zu Charakteren geformt, noch bevor sie das fünfte Lebensjahr erreicht haben, das ist erschreckend, aber es ist wahr. „
Mit dem Blick in die weite und doch so kleine Welt und mit Blick auf Deutschland wird klar, wie groß unser aller Verantwortung und wie unabdinglich die Investition in unsere Kinder ist. Das sollten wir nicht dem Glück überlassen.
Die Verankerung der Kinderrechte im Grundgesetz würde uns alle in die Pflicht nehmen, dafür Sorge zu tragen, den heutigen Wissenstand in die Bildung und Betreuung unserer Kinder einzubringen und dafür das dringend benötigte Geld zu investieren. Zudem in die Ausbildung der Menschen, die unsere Kinder täglich nicht nur begleiten, sondern in ihrer Entwicklung maßgeblich prägen. So viele Betreuer*innen, Lehrer*innen, Sozialarbeiter*innen arbeiten bis zur Erschöpfung, um die ihnen anvertrauten Kindern und Jugendlichen gerecht zu werden und müssen immer wieder erkennen, dass es unter den gegebenen Bedingungen kaum möglich ist. Es ist eine „Reform der Kindheit“ notwendig! Dabei müssen wir das Rad nicht neu erfinden. Wir können einen Blick über den eigenen Tellerrand zu unseren Nachbarn in Österreich werfen. Und wenn wir ganz mutig sind auch in die skandinavischen Länder, in denen angeblich die glücklichsten Menschen (Kinder) leben. Wir können unserer Verantwortung gerecht werden und dafür sorgen, dass das großartige menschliche Potenzial in unserem Land finanziell und mit wissenschaftlichem Wissen ausgestattet und motiviert wird. Die Strukturen für die Zukunft müssen jetzt neugestaltet werden. Notwendig wären sie schon längst.
Und deshalb spricht uns die Kinderbuchautorin aus der Kinderschutzbund-Seele, wenn sie schreibt: „…wohl erst in unserem Jahrhundert haben Eltern damit begonnen, ihre Kinder als ihresgleichen zu betrachten und ihnen das Recht einzuräumen, ihre Persönlichkeit in einer Familiendemokratie ohne Unterdrückung und ohne Gewalt frei zu entwickeln.“
Ja, wir haben damit in Deutschland vor 30 Jahren begonnen. Der Weg der Kinderrechte ist mühsam.
Und das ist unsere Vision, die wir mit dem Platz der Kinderrechte in Lindenberg mit den kleinen und großen Menschen teilen möchten: Wir Erwachsene gestalten für und mit Kindern eine Welt, die wir alle benötigen, um auf Augenhöhe und einfühlsam miteinander umzugehen.
Eine Welt, in der die Spielregeln gleichermaßen für alle gelten, in der Konflikte konstruktiv gelöst werden können, ohne jemanden klein zu machen oder abzuwerten. Eine Welt, in der wir keine Macht, sondern Klarheit benötigen, in der wir keine Angst vor Kinderrechten haben, sondern sie als Beweis für die Weisheit und die Fortschrittlichkeit der Erwachsenen sehen. Indem wir dieser menschenfreundlichen Haltung überall begegnen: in der Familie, in der Kita, in der Schule, bei der Arbeit, im Sportverein, bei Freunden und auch bei Fremden.
Vor allem aber in uns selbst.